Band 093: Die Gehilfen des Terrors

Band 093: Die Gehilfen des Terrors
Art:
Verlag:
Erscheinungstermin:
Preise bei Erscheinen:
ISBN:
Gebundenes Buch · 192 Seiten · 12.2 x 18.8 cm
cbj
Juli 2004
€ 7,50 [D] | € 7,80 [A] | CHF 13,90 (UVP)
978-3-570-15093-1
Verwandte TKKG-Produkte

Leseprobe

llustration von Seite 60.
llustration von Seite 60.

Gaby hörte den Schrei und blieb stehen. Sie blickte umher. Ein Mann hatte geschrien - oder ein Junge kurz nach dem Stimmbruch. Es klang angstvoll. Die Dieselsmock-Straße war nahezu leer an diesem Montagnachmittag Ende Oktober. Vom grauen Großstadthimmel prasselte eine Sintflut herab, vertrieb die Menschen und bildete Stauseen vor den Gullys. Gaby schützte sich mit einem blauen Regencape. Aber die Zwergenkapuze war irgendwo undicht und ab und zu drangen kalte Tropfen durch die goldblonde Haarflut und rannen über den Nacken zum Rücken. Huch!
Vergessen war das jetzt, obwohl gerade wieder eine Mini-Dusche die Schulterblätter erreichte. Wer hatte geschrien? Und warum?
Zu sehen war niemand. Die vier- und fünfstöckigen Häuser standen in Zeile - auf beiden Seiten - und für sie war das Wetter kein Thema.
Autos parkten. In den wenigen kleinen Läden war Licht: Ein Fahrradgeschäft mit Zubehörlager, eine schmale Boutique für Krawatten und Querbinder, ein Friseur - aber der hatte geschlossen. Aus einer düsteren Hinterhof-Zufahrt lugte ein braunblonder Mischlingshund, hob das Bein an der Mauerkante und war wieder verschwunden.
Der Schrei hatte sich nicht wiederholt.
Gaby pustete gegen ihren Goldpony. Doch die Fransen waren nass und klebten an der Stirn. Wieder kalte Tropfen unterm Pulli. Schaudernd schüttelte sie sich. Zupfen an der Kapuze half nicht viel. Außerdem hatte Gaby nur eine Hand frei, denn mit der ändern schob sie ihr Bike.

Illustration von Seite 89.
Illustration von Seite 89.

Eigentlich wollte sie's heute Abend putzen. Nicht mehr nötig. Das Chrom blitzte.
Sie hob die Schultern, was sowohl dem eindringenden Regen wie auch der Situation galt. Also, weiter! Sie war verabredet mit ihren Freunden. Die saßen sicherlich schon in Karls Bude, hatten die durchnässten Schuhe ausgezogen und vielleicht auch die Jeans.
Gaby musste lächeln bei dem Gedanken. Aber das verging ihr sofort.
Der pladdernde Regen hatte die blechige Stimme übertönt. Außerdem sprach der Kerl leise, zischte die Worte heraus. So böse, dass allein der Klang für Albträume sorgen würde.
„... dreckiger Kanake! Stinktier! Zecke! Von solchen wie dir haben wir hier genug! Hau ab in den Busch, wo du hergekommen bist! Hast du mich verstanden?!"
In Gaby schien sich die Seele aufzubäumen. Um Himmels willen! Ihr Herz begann zu hämmern. Vor Empörung! Vor Stress! Instinktiv spürte sie auch die Gefahr. Und hatte natürlich Angst. Aber das ist niemals ein Grund zum Weggucken oder gar für unterlassene Hilfe.
Nur noch drei Schritte - dann konnte Gaby in das Durchhaus blicken, also in den tunnelfinsteren Durchgang des alten Hauses, den Durchgang, der die Dieselsmock-Straße mit der parallelen Weidenanger-Straße verbindet, die fast genauso aussieht und zurzeit - nämlich seit Juni - eine Baustelle hat.
Im Durchgang spielte sich ein Drama ab. Die zigtausendste Wiederholung. Fremdenfeindlichkeit - das offenbar nie endende Thema, weil es in Deutschland Menschen gibt, die Ausländer hassen - nur weil es Ausländer sind.

Illustration von Seite 109.
Illustration von Seite 109.

Ein junger Farbiger zitterte vor Angst. Er mochte 20 sein, war klein und schmächtig, hatte ein gut geschnittenes Gesicht und schokoladenbraune Haut. Seine Jacke - völlig unzureichend für das Schlechtwetter - troff vor Nässe. Sein
Outfit war die Einladung zur Lungenentzündung. Aber er zitterte nicht deshalb, sondern weil ihm der andere ein Messer an die Kehle hielt. Außerdem wurde der Bedrohte hart an die schmutzige Betonwand gedrängt.
Das Messer war zwar nur ein Taschenmesser von der billigen Sorte und sah nicht sehr gefährlich aus, sondern stumpf. Aber der Brutalo hatte es schon gebraucht, nämlich seinem Opfer über den Handrücken gezogen. Dort tröpfelte Blut.
Der Messertyp war mindestens einen Kopf größer als der Farbige und vierschrötig wie ein Werttransport-Auto. Gaby sah ihn von schräg hinten: einen dunklen Regencoat mit Kapuze. Die war tief ins Gesicht gezogen. Regen floss ab von dem knielangen Mantel.
„Aufhören! Sind Sie wahnsinnig?!" Gabys Stimme eilte eine Tonleiter hinauf. „Weg mit dem Messer! Lassen Sie ihn los! Oder ich rufe die Polizei!"
Der Kapuzenkopf drehte sich in ihre Richtung.