Band 090: Der Mörder aus einer anderen Zeit

Band 090: Der Mörder aus einer anderen Zeit
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Gebundenes Buch · 192 Seiten · 12.2 x 18.8 cm
cbj
Juli 2004
€ 7,50 [D] | € 7,80 [A] | CHF 13,90 (UVP)
978-3-570-15090-0
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Leseprobe

llustration von Seite 25.
llustration von Seite 25.

Regina bemerkte die Verfolger erst, als es zu spät war. Die beiden waren Profis trotz ihrer Jugend von kaum 20 Jahren. Beide sahen knallhart aus, die geborenen Schläger.
Es war der Freitag vor Pfingsten, früher Nachmittag. Regina Odenhafer, 15, eilte Richtung Innenstadt, befand sich aber noch im Gerbroder-Viertel, wo die Gassen kragen-eng sind und die Straßen mit Rüttelschwellen und Kopfsteinpflaster gegen die Autoflut ankämpfen.
Schwüle Hitze, dunstiger Himmel. Die Städter bewegten sich träge. Hunde hechelten, Eisverkäufer erzielten Rekordumsätze.
Die Flutwellen-Gasse ist leicht abschüssig. Und so eng, dass von keiner Seite Sonnenstrahlen Einlass finden. Die feuchten Mauern der uralten Häuser riechen nach Salpeter und Schimmel. Es gibt schulterbreite Durchgänge zu Hinterhöfen.
Hinter einer dieser Ecken lauerten Simon und Nocke. Sie hatten Regina seit einer halben Stunde verfolgt - unbemerkt, wie gesagt, hatten zupacken wollen, sich aber zurückgehalten wegen Passanten, wegen unerwünschter Zeugen. Jetzt hatten Simon und Nocke das Mädchen überholt und den Hinterhalt vorbereitet.
In der Flutwellen-Gasse war kein Mensch - außer Regina. Sie trug Turnschuhe, die das Tapp-Tapp ihrer Schritte fast lautlos machten. Hier in der Flutwellen-Stille waren sie allerdings zu hören. Außerdem knirschte die rechte Sohle etwas.
Regina wollte an dem Durchgang vorbei eilen. Aber Simon trat hervor und verbaute ihr den Weg. Sie prallte gegen ihn, quietschte erschreckt und hätte sich empört. Doch dazu kam's nicht mehr, denn Nocke war hinter ihr.
Seine Schaufelblatt-Flossen umklammerten ihre Oberarme. Er hätte sie brechen können. Gleichzeitig drückte ihr Simon eine Hand auf den Mund. Seine Finger rochen noch nach dem Heringsbrötchen, das er sich vorhin reingezogen hatte: saurer Hering mit Zwiebelringen und einem Salatblatt.
„Wenn du schreist, bist du alle."
Nocke sagte das, schräg von hinten. Auch er hatte Fisch gegessen, beugte sich etwas vor - und sie roch seinen Atem, der die Erinnerung wach hielt an tote Meeres-Bewohner.
Mit einem Ruck, dass sie stolperte und fast ihre Turnschuhe verloren hätte, wurde Regina in den Durchgang gerissen.
Zu dritt hatten sie dort kaum Platz. Denn Simon folgte, eisern die Hand auf ihrem Mund.
Fensterlose Hauswände, fünfstöckig, alt, grau und schuppig. Wer hier ein Bike durchschob, musste sich quetschen. Hunde hatten ihre Reviere an den Wänden markiert.
Alles ging blitzschnell. Die Situation war jetzt kaum drei Atemzüge alt. Gedanken - Horror-Gedanken fetzten Regina durch den Kopf. Das war kein Raubüberfall. Sie sah nicht aus wie eine Geldquelle. Nichts Wertvolles an ihr - die Uhr Plastik, obwohl sie auch eine sehr feine, sehr teure besaß.

Illustration von Seite 127.
Illustration von Seite 127.

Was wollen die?
Simon, der vor ihr stand, war ein Typ zum Erbrechen.
„Nicht schreien!", gebot er.
Sie nickte gegen seine Hand. Endlich nahm er die Heringsfinger weg.
Aber der andere ließ nicht los. Seine Fingerkuppen gruben sich in die Oberarme. Sie wusste schon, wie die blauen Flecken aussehen würden auf ihrer zarten Haut.
Regina war ein schlankes, ziemlich großes Mädchen mit
langem kirschrotem Haar. Sie trug es offen - meistens mit Mittelscheitel. Sie war Schülerin der Klasse 9 b in der berühmten Internatsschule - eine Externe, Fahrschülerin also. In den meisten Unterrichtsstunden saß sie rechts neben Gaby. Den Platz links würde Tim ja verteidigen wie ein Königstiger - falls jemand den lächerlichen Einfall hätte, sich dort niederzulassen. Regina war ein Klassemädchen mit vielen Geh-Anträgen.
Jetzt stand blanke Angst in ihren braunen Rehaugen.
Das schien Simon zu gefallen. Er grinste. Auch Nocke, hinter ihr, grunzte einen amüsierten Häh-Laut mit Fischgeruch.
Simon - zirka 19, klotzig, mit Bürstenschnitt, Schweinsnacken und flacher Nase - trug rechts zwei Ohrringe, silbrig und golden, links einen kupferfarbenen. Er trug Jeans mit Löchern und Rissen, Schnürstiefel und eine militärische Tarnjacke, die ihm etwas zu eng war. Trotzdem hatte er den Reißverschluss geschlossen und schwitzte sicherlich höllisch.
Nocke trug die gleiche Uniform, war noch größer und sehr knochig. Eine frische Wunde spaltete den linken Mundwinkel waagerecht. Auf ein Bussi war das nicht zurückzuführen, eher auf eine Faust mit Schlagring. Die Haare waren mittellang, unten herum braun, oben herum gelb wie ein Postauto. Diese gelbe Platte saß wie ein Deckel auf dem etwas dumm geformten Schädel.
„Regina Odenhafer", sagte Simon, „dir sieht man deine Unverschämtheit nicht an. Aber wer weiß schon, was in so einer Blödbirne rummülmt."
Damit keine Unklarheit entstand, wessen ,Blödbirne' gemeint war, klopfte er dem Mädchen hart an die Schläfe -mit dem Knöchel einer Schlägerfaust.
„Aber das Miststück ist unverschämt", sagte Nocke.
„Was ... was ...", ihre Stimme zitterte, „wollt ihr von mir?"