Band 082: Der Diamant im Bauch der Kobra

Band 082: Der Diamant im Bauch der Kobra
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Gebundenes Buch · 192 Seiten · 12.2 x 18.8 cm
cbj
Juli 2004
€ 7,50 [D] | € 7,80 [A] | CHF 13,90 (UVP)
978-3-570-15082-5
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Leseprobe

llustration von Seite 20.
llustration von Seite 20.

Schwarzer Himmel, goldene Blitze - das Sommergewitter entlud sich über der Millionenstadt. Der Regen war duschwarm und wurde wie aus Eimern geschüttet, konnte aber TKKG nichts anhaben. Tim, Karl, Klößchen und Gaby saßen unter wasserdichter Jalousie auf der Terrasse der Vierstein-Villa, becherten ein Fruchtsaft-Gemisch und sahen zu, wie sich Schmetterlinge und Hummeln unter blühenden Büschen in Sicherheit brachten. Oskar kam aus dem Regen mit tropfnassem Fell, hechelte und schüttelte sich dicht neben Gabys weißen Jeans-Beinen.
„Neiiin!", quietschte sie und zog die Knie hoch bis an die Schultern. „Meine Hose ist neu. Und war eben noch weiß."
Die Jungs grinsten. Oskar ließ sich nieder und legte den Kopf auf die Pfoten. Vorn beim Tor hielt ein grauer Mercedes. Der Fahrer - und einzige Insasse - streckte das Gesicht aus dem Fenster.
„Hallo!", rief er - kehlig, wie nur ein Amerikaner das kann. „Ist dieses Haus die Adresse Lindenhof Allee 27 und bewohnt von Professor Albert Vierstein und seiner Familie?"
Karl fühlte sich angesprochen und hob die Stimme, nachdem er an seiner Nickelbrille gerückt hatte.
„Stimmt. Hier sind Sie richtig."
„Wundervoll!", erklärte der Amerikaner, schloss das Fenster, parkte etwas dichter am Zaun, stieg aus und hielt einen Schirm über sich, als er durch die Pforte herankam.
„Der will offenbar zu uns", stellte Karl fest. „Wie ein US-Kollege meines Herrn Vaters sieht er nicht aus. Außerdem wäre er dann in Paris, wo ja zur Zeit die internationale Professoren-Konferenz ausgesessen wird."
Karls Vater, der bekannte Naturwissenschaftler, war dort. Karls Mutter war nicht mitgereist, sondern jetzt in der Küche, wo sie gerade selbstgemachtes Eis dreierlei Geschmacksrichtungen für die Kids in Portionsbecher abfüllte.
Alle blickten dem Ami entgegen. Tim schätzte ihn ein: Mitte Dreißig, groß und schlank, blond wie ein Weizenfeld, energisches Outdoor-Gesicht - also Golfer oder Tennisspieler - und die typischen Gammelklamotten eines weltreisenden Amis, der allein auf die Macht seiner Dollars vertraut und sich bekleidet mit Schlamper-Jeans, Cowboystiefeln und bedrucktem T-Shirt unter dem teuren Acht-Taschen-Blouson. Dazu ein breites Grinsen.

Illustration von Seite 89.
Illustration von Seite 89.

„Hallo! Ich bin Mike Brigland. Eigentlich heiße ich Michael Schulze-Breitland. Ich bin nämlich deutschstämmig, aber bereits in zweiter Generation amerikanisiert. Ist Professor Vierstein zu Hause?"
Karl sagte, was Sache war, stellte sich vor als Sohn und bot dann, ersatzweise für den Professor, seine Mutter zum Gespräch an. Brigland nickte erfreut und gab sich unbekümmert als gehöre er in diese Runde. Er reichte allen die Hand. Oskar wurde der Kopf getätschelt. In dem Moment kam Elisabeth Vierstein aus dem Haus, beladen mit einem großen Tablett.
Sofort ließ Brigland seinen Schirm fallen, stürmte hinzu und nahm ihr die Last ab.
„Ich bin Mike Brigland, Frau Vierstein. Darf ich?" Und mit einem Blick auf die Eisbecher. „Wundervoll. Die Eiscreme leuchtet in allen Farben. So muss der Blue Truth aussehen. Aber an diesem wundervollen Diamanten würde man sich die Zähne ausbeißen. Hahah!"
Den schwachen Witz verstand offenbar nur er. Doch Karls Mutter lächelte freundlich. Brigland durfte am Tisch Platz nehmen und erhielt auch ein Glas Fruchtsaft.
Bin gespannt, dachte Tim, was der will. Sympathischer Typ. Aber was hat Hausmacher-Gelato mit einem Diamanten zu tun, noch dazu mit einem der ,Blaue Wahrheit' heißt?
Brigland grinste noch immer. Sein Blick glitt prüfend über die Gesichter.
„Als ich eben den Blue Truth erwähnte", sagte er, „hat niemand von euch reagiert. Ihr wisst nichts von diesem Edelstein?"
Allgemeines Kopfschütteln.
Tim preschte vor. „Sind Sie deswegen hier?"
Brigland nickte. „Aber bitte nennt mich Mike und sagt du! Wir Amerikaner sind nicht gern förmlich. Ja, wegen des Blue Truth bin ich hier - in der Stadt meiner Vorfahren. Denn wie gesagt: Noch vor zwei Generationen hießen wir Schulze-Breitland. Damit ihr mich versteht - verzeihen Sie, Frau Vierstein, wenn ich Sie in meine vertrauliche Anrede einbeziehe - erzähle ich am besten die Geschichte unserer Familie. Dann wird alles klar ohne große Erklärung. Es ist eine tragische Geschichte und sie beginnt im Jahre 1935 -hier in dieser Stadt."
Er trank einen Schluck Saft. TKKG und Karls Mutter löffelten Eis: Schoko, nuss und Vanille. Es schmeckte vorzüglich. Klößchen hatte bereits seine Bitte-unbedingt-einen-Nachschlag-Miene aufgesetzt.
„Mein Großvater", berichtete Mike, „war der Bankier Baidur Schulze-Breitland. Ihm gehörte die Privatbank Breitland und Schmollner am Heumarkt. Im Jahre 1935 war Opa 50 Jahre alt und immer noch verliebt in seine Frau. Großmutter Sarah, eine geborene Goldenblom, war Jüdin. Und dann geschah es. Am 15. September 1935 trat im damaligen Nazi-Deutschland ein unmenschliches Gesetz in Kraft. Das sogenannte Gesetz zum Schutz des deutschen
Blutes und der deutschen Ehre. Und damit begann auch das Unglück für unsere Familie."
Tim schob die Brauen zusammen. Davon - dachte er -habe ich schon gehört. Hatten wir neulich im Geschichtsunterricht. Und alle haben sich empört.

Illustration von Seite 128.
Illustration von Seite 128.

„An dieses Gesetz entsinne ich mich", sagte Karls Mutter. „Es war eine Ausgeburt wahnwitziger Rassentheorien."
Mike nickte. „Das Gesetz sollte sogenannte Mischehen zwischen Juden und arischen Menschen verhindern oder auflösen, falls sie schon bestanden. Wer sich weigerte, war grausamster Verfolgung ausgesetzt. Nun - meine Großeltern hätten eher den Tod gewählt, als sich zu trennen. Aber in ihrem Heimatland konnten sie auch nicht mehr bleiben. Also Flucht. Meinem Großvater gelang es, zunächst einen Teil seines Vermögens in die USA zu transferieren, zu überweisen. Doch die offizielle Ausreise aus Deutschland - sozusagen mit Sack und Pack - wurde ihm und seiner Familie verweigert. Man wusste auch, dass Großvater eine überaus wertvolle Schmuck- und Juwelensammlung besaß. Und an solchen Pretiosen waren die damaligen Machthaber sehr interessiert. Eins wussten sie allerdings nicht. Großvater hatte alle Kostbarkeiten heimlich veräußert - denn als Reisegepäck wären die vielen Stücke zu umständlich gewesen. Stattdessen hatte er den größten Teil seines Vermögens in einem einzigen Diamanten angelegt: in dem Blue Truth."
„Nie gehört", sagte Tim.
„Glaube ich dir gern", lächelte Mike. „Er ist auch nur wenigen Experten bekannt. Vom Kohinoor, vom Stern des Südens, vom Großmogul oder vom Hope hat jeder schon mal gehört. Aber der Blue Truth führte mehr ein Schattendasein, obwohl er durchaus in diese Galerie edelster Diamanten gehört. Er wurde 1661 in Indien gefunden, hat -nach dem Schliff, wobei ja immer etwas vom Gewicht verloren geht - hat 112 tiefblaue Karat. Er war im Besitz indischer Fürsten, dann am Zarenhof und gehörte zum Schluss einem levantinischen Juwelenhändler, von dem Großvater ihn - in aller Heimlichkeit - kaufte. Heute hätte der Blue Truth einen Wert von zehn Millionen Dollar. Aber leider ist er verschollen."
„Hier - verschollen?", fragte Gaby.