Band 077: Im Wettbüro des Teufels

Band 077: Im Wettbüro des Teufels
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Gebundenes Buch · 192 Seiten · 12.2 x 18.8 cm
cbj
Juli 2004
€ 7,50 [D] | € 7,80 [A] | CHF 13,90 (UVP)
978-3-570-15077-1
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Leseprobe

llustration von Seite 60.
llustration von Seite 60.

Die Millionenstadt versank im Schnee. Der 14.Dezember war ein frostiger Tag. Egon Voigt stand an der Ecke der Landgruber Straße/Frömmel Allee. Hier war sein Revier. Zehn Schritte von der Ampel entfernt hatte er sich aufgebaut, im schäbigen Steppmantel, einen Penner-Borsalino auf dem Kopf. Am rechten Bein lehnte ein kniehohes Pappschild mit der Filzschreiber-Aufschrift: Wetten auf Kennzeichen / 5,- u. 10,- DM /Auszahlung sofort Beißender Wind fauchte heran über freies Feld. Hier war nicht mehr City, hier war Außenbezirk. Die ,Landgruber' gehörte zum Umgehungsring, eine Schnellstraße ins Umland - und die Fahrzeuge krochen, krochen, krochen. Eben schaltete die Ampel auf Rot.
Fünf Typen umstanden Egon. Kleine Leute, Rentner, Müßiggänger, ein sozialer Absteiger und ein Betrunkener. Sie wohnten hier in der Gegend. Sie hatten gewettet.
„Vier hat gewonnen."
Egon zog zwei Zehner aus der Manteltasche und händigte sie dem Alten aus.
Der schien zu überlegen. Nochmal? Nein! Achselzucken. Grinsend zog er ab.
„Fünf hat verloren."
Egon schenkte dem Typ, den er als arbeitslos einschätzte, einen mitleidigen Blick.
„Drei hat gewonnen. Zwei hat gewonnen. Eins auch."
Er händigte zweimal zwei Zehner aus, einmal nur einen Zehner. Denn dieser Wetter hatte den kleinen Betrag -5,- DM - eingesetzt.
Sie verkrümelten sich.
Egon wippte auf den Füßen. Er trug gefütterte Stiefel. Aber alle Zehen waren kalt bis in die Knochen.
Der Wind vom Brachland blies aus eisiger Lunge. Egons Schild war umgekippt. Er lehnte es wieder ans Knie, stand ruhig und blickte die ,Landgruber' entlang. Vor Polizeifahrzeugen musste er sich in Acht nehmen. Dieses Wetten war illegal.
„Hey, Mann!"
Der Flaps-Typ wischte sich mit dem Ärmel die Nase. Etwa 17, bullig, Ekstasy-Pupillen, Pickel bis unter den Rand der wollnen Sturmhaube, schiefes Grinsen.
„Willst du wetten?"
„Mann! Red mich gefälligst mit Sir an!"
„Willst du wetten, Sir?"

Illustration von Seite 70.
Illustration von Seite 70.

„Erstmal will ich wissen, wie das geht. Ich hab's nicht begriffen."
Egon nickte, deutete zur Ampel und dann in die ,Landgruber' stadteinwärts.
„Du wettest auf den ersten, zweiten... oder zehnten Wagen, der von dort kommt. Gerade oder ungerade. Das heißt, ob das Kfz-Kennzeichen mit 'ner geraden oder ungeraden Zahl endet. Du setzt fünf oder zehn Mark ein. Wir warten, bis die Ampel das übernächste Mal rot wird. Die Wagen kommen, halten. Dein Wagen ist dabei. Wenn du gewonnen hast, kriegst du den doppelten Einsatz."
„... kriegst du den doppelten Einsatz, Sir!!!"
„...den doppelten Einsatz, Sir!!!"
Der Flaps-Typ nickte. „Ist das legal, Mann?"
„Was ist schon legal, Sir?"
„Ich wette, du hast die Taschen voller Geld. Weil du ja deine Kunden auszahlen musst - wenn du 'ne Pechsträhne hast."
„Willst du nun wetten?"
„Wie viel Wechselgeld hast du bei dir, Mann?"
„Das geht dich einen Sch... an, Sir!"
Der Flaps-Typ zog die rechte Hand ein Stück aus der Parkatasche.
„Guck mal! Ein japanisches Kampfmesser, Mann! Das geht durch deinen Mantel wie durch zimmerwarme Butter. Du liegst im Schnee. Kein Wagen hält. Außerdem knie ich ja schon bei dir. Das muss doch genügen, wie? Dass ich dir nicht helfe, sondern nur die Taschen ausräume - wer sieht das schon, hey?"
Egon wollte ,Hau ab!' sagen.
Im nächsten Moment spürte er die Messerspitze auf den Rippen, ja, direkt auf den Rippen. Durch Mantel, Pullover und T-Shirt war die Klinge schon durch.
„Her mit den Peanuts!"
Verdammt!, dachte Egon. Ich hätte ihn ernst nehmen sollen.
Die Wagen glitten vorbei. Beschlagene Scheiben. Kein Gesicht wandte sich her. Es war früher Vormittag - ein Samstag.
Egon stöhnte.
Dann stöhnte der Flaps-Typ, sackte in die Knie und zog sein rasierklingen-scharfes Messer so ungeschickt mit, dass ein sauberer Schlitz in Egons Garderobe entstand und außerdem - wie er später feststellen würde - eine Schmarre auf seinen Rippen.
Der Flaps-Typ fiel nach vorn mit dem Gesicht in den sulzigen Schnee und kippte dann auf eine Schulter. Pause. Aber keine Werbespots. Der Film lief weiter. Denn der Mann, der unbemerkt hinter Egon getreten war, rückte jetzt in dessen Blickfeld.
„Dieser Straßenköter", sagte der Knuffi-Typ durch die Zähne, „wird ein paar Tage Genickschmerzen haben. Er wollte Sie abzocken, was?"
„Berauben."