Band 076: Mörderischer Stammbaum

Band 076: Mörderischer Stammbaum
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Gebundenes Buch · 192 Seiten · 12.2 x 18.8 cm
cbj
Juli 2004
€ 7,50 [D] | € 7,80 [A] | CHF 13,90 (UVP)
978-3-570-15076-4
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Leseprobe

llustration von Seite 64.
llustration von Seite 64.

Die Novembersonne schien auf den Belmorte-Park; und Oskar - Gabys Cocker-Spaniel - schnupperte den Grünstreifen ab neben dem asphaltierten Spazierweg. Federn lagen dort im herbstwelken Gras, an einigen klebte Blut. Tim kniff die Augen schmal. Ja, dachte er. Blut! Das ist Blut! Taubenfedern und Blut. Schon die fünfte Stelle mit diesen makabren Spuren. Hat hier ein Habichts-Schwarm gewütet?
„Oskar!", rief Gaby ihren Hund. „Komm sofort her!"
Er kam. Rechts am Maul klebte ein flaumzartes Federchen. Gaby wischte es ab, und Oskar wurde angeleint.
„Da ist er noch rot", meinte Klößchen und schob sich die letzte Schokorippe zwischen die Zähne.
Diesmal bückte sich Computer-Karl, spuckte auf ein Papiertaschentuch und rieb den kleinen Blutfleck weg oberhalb Oskars rechter Lefze. Dort war das Fell weiß. Der rote Fleck hob sich ab.
„Ist frisches Blut!", sagte Karl.
TKKG bummelten hier, weil die Gegend als unsicher galt - neuerdings. Der Belmorte-Park schloss sich an die Grün-Auen an, die sich am Fluss entlang ziehen - in südliche Richtung. Ein unübersichtliches Gebiet mit Parkplätzen an der Straße und verschlungenen Wegen. Jogger hecheln hier. Spaziergänger ergehen sich. Pärchen küssen sich von Bank zu Bank.
Und seit zwei Jahren trieb sich hier der ,Beißer' herum. Ein Unhold. Er überfiel Frauen. Vornehmlich Blondinen. Und er biss ihnen in die Arme oder Schultern. Er trug zwar eine Maske, ließ aber seine Mundpartie unbedeckt.
Tim, der früher Tarzan genannt wurde, hatte sich hier schon mehrfach umgesehen, leider ohne auf den ,Beißer' zu stoßen. Trotzdem war die TKKG-Patrouille keine abwegige Idee, denn der Beißer schlug fast immer in der Mittagszeit zu.
„Schrecklich!" Gaby schien in ihrer warmen Jacke zu schaudern. „All diese Federn künden von Tiertragödien. Raubvögel haben Tauben gerissen und die Beute weggeschleppt. Es ist wirklich beknackt von der Schöpfung, dass sie das so eingerichtet hat: dieses Fressen und gefressen werden."
„Die Natur hat verdammt viel Mist gebaut", nickte Karl. „Das sagt auch mein Vater. Und der hat Durchblick als Professor mit anerkanntem Weitblick."

Illustration von Seite 185.
Illustration von Seite 185.

Tim rückte an seiner Baseballkappe, die er wie üblich mit dem Schirm nach hinten trug. Die Sonne blendete. Trotzdem sah er den Taubenschwarm.
Wie eine gefiederte Wolke stoben 20 oder mehr Tauben im Steilflug in die Höhe. Die Luft rauschte. Der Start war offensichtlich plötzlich erfolgt - hinter einer Gruppe dichter Büsche, schlappe 50 Schritte entfernt.
„Ph!" machte der TKKG-Häuptling und fiel in ein sieggewohntes Mittelstreckentempo.
Seine Freunde trabten hinterher, aber er umrundete als Erster die Büsche.
Was er sah, verschlug ihm den Atem.
Ein Taubenmörder hatte soeben gewütet.
Zwei tote Tiere lagen auf dem Rasen - enthauptet, geköpft. Der Mann hielt einen meterlangen Stab in der Faust - vermutlich eine Eisenstange. Denn leicht war das Instrument nicht. Das verriet die Bewegung.
Er war groß, bullig, trug Turnschuhe, Jeans und eine schenkellange Jacke aus gewachstem, grünem Stoff. Auch der Schädel war bullig. Zwischen den Dumpfbacken hing ein blonder Schnurrbart.
Bei Tim, dem Tierfreund, brannten die Sicherungen durch.
Mit dem Schrei „Das sind meine Lieblingstauben!", stürmte er los auf den Kerl.
Der glotzte verblüfft, begriff dann die Bedrohung und schwang zur Abwehr seine Eisenstange.
Ein Hieb. Blitzschnell duckte sich Tim drunter weg. Mit der Schulter rammte er den Schmerbauch. Gleichzeitig schmetterte die rechte Karate-Faust volle Pulle auf den Schnurrbart. Der Tiermörder überkugelte sich auf der Wiese. Bäuchlings blieb er liegen - mit dem Gesicht auf dem abgeschlagenen Kopf einer Taube.
„Ja! Gib's ihm! Dieser Sadist! Dieser Tierquäler!"
Gaby taumelte gegen ihren Freund, totenbleich, hatte Tränen in den Augen und ihre Stimme nicht mehr unter Kontrolle. Die Kehle zitterte. Die Worte klirrten.
Tim hatte beide Fäuste geballt und hoffte, dass der Fight noch nicht zu Ende sei. Nein, das wäre zu wenig Strafe gewesen für diesen Kerl.
Aber der blieb liegen, stöhnte, kroch einen Meter, stöhnte abermals und hob dann den Kopf.
In abgewandte Richtung stammelte er: „Aufhören! Aufhören! Ich... bin Inspektor. Ich bin von der Stadtverwaltung. Ich handele mit Recht."
„Was?", fuhr Tim ihn an. „Eine blödere Ausrede fällt Ihnen wohl nicht ein, wie?"
„Doch! Es stimmt. Es ist mein Auftrag. Wisst ihr das nicht? Ich wette, ihr wisst es. Aber ihr gehört sicherlich zu dieser Petra Delius. Die lässt nicht nach mit ihrem Zoff. Zur Hölle mit dem Weib!"