Band 072: Die Haie vom Lotus-Garten

Band 072: Die Haie vom Lotus-Garten
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Gebundenes Buch · 192 Seiten · 12.2 x 18.8 cm
cbj
Juli 2004
€ 7,50 [D] | € 7,80 [A] | CHF 13,90 (UVP)
978-3-570-15071-9
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Leseprobe

llustration von Seite 28.
llustration von Seite 28.

Anfang Dezember lag schon viel Schnee, und im Wald drückte er die jungen Bäume zu Boden. Tim schüttelte seine Handschuhe aus, blickte auf dem Waldweg zurück und stellte fest: Während der letzten Stunde hatten sie eine Strecke von etwa 400 Metern geschafft.
„Schlaf nicht!" befahl Gaby und rüttelte kräftig am schlanken Stamm einer Fichte. „Hier sind noch viele Tannenkinder, die unter der Schneelast ersticken."
Rüttelnd befreite sie die Zweige, und die junge Fichte richtete sich auf.
„Ich habe mitgezählt." Tim grinste. „Das ist das 97. Bäumchen. Willst du den ganzen Wald freischütteln? Übrigens sind es Fichten, nicht Tannen."
„Das hier ist eine Tanne. Man sieht es an den Nadeln. Außerdem ist es egal, Herr Besserwisser. Ich wünschte. Oskar würde mitmachen. Aber er schnüffelt nur rum."
Gaby pustete gegen ihren Goldpony, der bis fast auf die Wimpern hing. Sie trug eine blaue Baseballmütze aus winterwarmem Stoff, und die Windjacke war mit Schnee bestäubt.
Wir haben schon eisige Finger, dachte Tim, den man früher Tarzan genannt hat. Aber was tut man nicht alles für die neue Koniferen-Generation.
Es war ein Sonntagnachmittag. Advent. Aber Tim hatte ein inniger Spaziergang vorgeschwebt im internatsnahen Wald. Bussis von Gaby hätten den TKKG-Häuptling froher gestimmt als Kerzenlicht und Plätzchen. Statt dessen gab es nun kalte Schneeduschen von den höheren Zweigen herab.
Oskar hatte die Wegränder abgeschnüffelt. An seinen langen Ohren hingen Schneeklumpen, die allmählich vereisten und Glockentöne von sich gaben. Jedenfalls klirrten sie.
Hinter einem Busch scharrte er wie wild. Hatte er den Einstieg zu einer Fuchsröhre entdeckt? Oder ein weggeworfenes Brathähnchen?
„Pfui, Oskar!" rief Gaby. „Lass das liegen."
Aber Oskar zerrte es unter dem Schnee hervor und dann im Rückwärtsgang mit sich schleifend zum Weg.

Illustration von Seite 137.
Illustration von Seite 137.

Tim nahm die Hände von einem Baumstämmchen und traute seinen Augen nicht, Gaby hatte die Handschuhe abgelegt und hauchte auf die klammen Finger. Auch sie staunte.
Oskar hatte eine Tasche gefunden. Sie war neu, ziemlich groß und aus beigem Leinenstoff gefertigt. Eine Art Sporttasche, wie man sie für den Transport der Klamotten braucht, wenn's ins Fitness-Studio geht oder ins Hallenbad.
„Die ist neu", sagte Tim, „und zum Platzen gefüllt. Hat da jemand seinen Giftmüll entsorgt?"
Gaby bückte sich und zog Oskar die Tasche weg. Der Reißverschluss war geschlossen.
„Sie ist schwer, Tim."
„Wir sehen nach. Aber du gehst bitte beiseite. Bis zu dem Baumstumpf dort."
„Rechnest du mit einer Bombe?"
„Eigentlich nicht. Aber wenn doch - dann genügt mein Abgang. Behalt mich bitte in guter Erinnerung!"
„Mach nicht solche Witze."
„Bis zum Baumstumpf. Gaby! Ich bitte dich!"
„Lass sie zu! Wir nehmen sie mit ins Präsidium."
„Damit man dort über uns lacht - falls nur alte Zeitungen drin sind?"
Er hatte an der Tasche gehorcht und dort nichts vernommen - nur das Raunen im Winterwald war zu hören und das Knacken der Zweige.
Durch den Stoff fühlte er Papierenes, Weiches wie Wolle und einen metallischen Kasten.
Hm, hm. Tim legte sich flach auf den Bauch. Gaby war jetzt weit genug entfernt. Mit einem Arm schirmte er den Kopf ab. Mit der anderen Hand zog er den Reißverschluss auf.
Nichts passierte.
Oskar, von Gaby am Halsband gehalten, hechelte.
Tim richtete sich auf und sah in die Tasche.
Ich glaub es nicht, dachte er. Ist das vom Nikolaus? Oder wie dürfen wir das verstehen?
„Gaby", sagte er, „die Tasche ist voller Geld. Nur Scheine. Massenhaft. Hauptsächlich Hunderter. Das ist Kohle satt. Wahnsinn!"
Sie kam heran, sah's und bestätigte, es sei Wahnsinn, wohl ein 100000-Mark-Wahnsinn.
„Tim, vielleicht ist es Falschgeld."
Er prüfte drei Scheine, indem er sie gegen das schwindende Tageslicht hielt.
„Die sind echt, würde ich sagen. Die könnten wir überall ausgeben."
„Nichts geben wir aus. Wahrscheinlich ist es Lösegeld -und dies der Ort der Übergabe. Du, wir sind da in was reingeraten."
Er zog ein wollnes Gebilde heraus. Es war schwarz, hatte aber einige weiße Verzierungen, nämlich ein Norweger-Strickmuster.