Er hielt in Höhe des Nachbargrundstücks - aber auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Keine Laterne, sondern totale Düsternis. Das Einfahrt-Tor von Konsul Zwiberinski-Sachalitzke stand offen. Der Konsul schirmte sich ab mit einer hohen Hecke. Und sein Garten hatte sommers wie winters nie den Pflegezustand, den die Gärtner-Innung loben würde.
Was schadet es da..., überlegte Tim.
An der dunkelsten Stelle lehnte er sein Stahlroß an die Hecke. Schattengleich verschwand er durchs Tor in den Garten, wo die Dunkelheit ihn aufsog.
Stimmen. Gedämpft, ein bißchen ächzend; und zwar aus der Richtung, aus der Tim gekommen war. Ein langes Psssttt! blies der Wind zu ihm her. Von einer Stimme, die nach verrosteten Blechbüchsen klang. Der andere - auch gedämpft - hörte sich bellig und heiser an; jeder Ton schien ein Wehlaut zu sein.
Drüben machten sie halt. Sie wisperten.
Vorsichtig, um nicht auf Knack-Eis zu treten oder steifgefrorenes Laub, schob sich Tim zum Anfang der Hecke.
Seine Adleraugen, längst an die Dunkelheit gewöhnt, sahen fast so deutlich wie ein Infrarot-Zielgerät.
Tim entdeckte die beiden Gestalten vor dem übernächsten Nachbarn der Sauerlichs, nahe der Pforte des schmiedeeisernen Gartenzauns, den innenseitig Nadelsträucher zur Sichtblende ergänzten.
„Siehst du?" hörte Tim einen der beiden zischeln. „Kein Splitt! Kein Kies! Kein Sand! Nichts ist gestreut."
Der andere stöhnte. Er saß - nein, hing - auf dem oberen Rahmenrohr eines windschiefen Tourenrads.
„Du weißt, was du sagst?" vergewisserte sich der mit der Blechbüchsen-Stimme.
Und Tim erkannte ihn.
Das war Herbert, ein Penner. Aber nicht nur Penner. Herbert war auch Gelegenheitsdieb. Und Kampf-Bettler, wie gewisse Typen sich neuerdings nennen. Gemeint ist: Wer ihnen nicht freiwillig spendet, den nötigen sie.
Tim erinnerte sich der fürchterlichen Ohrfeige, mit der er Herbert verjagt hatte. Zer war, kampf-bettelnd, einem alten Muttchen gefährlich nahe an den Pelzkragen gerückt.
„Jaaah!" erwiderte bellig-heiser der andere.
„Hol raus, was drin ist, Otto!"
„Jaaah!"
Otto schien Schmerzen zu haben. Und sein Bein hing schief.
Jetzt lud Herbert ihn ab, kippte ihn sozusagen vom Rad -plumps saß Otto auf dem spiegelnden Eis, jaulte kurz auf und nahm dann eine bequeme Haltung ein, halb in Rückenlage.
Ich ahne, ich ahne..., dachte Tim. Na, mal sehen.
Herbert wendete sein Rad und rannte zurück, soweit die Glätte das zuließ, wobei er die Tretmühle schob.
Tim wartete. Otto wartete. Offenbar zählte der bis hundert -vorausgesetzt, daß es ihn geistig nicht überforderte. Denn als Penner war er mindestens so verkommen wie Herbert - und in diesem Milieu ist ja nicht nur Körperpflege verpönt, sondern ebenso geistige Betätigung.