Band 060: Ein Toter braucht Hilfe

Band 060: Ein Toter braucht Hilfe
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Gebundenes Buch · 192 Seiten · 12.2 x 18.8 cm
cbj
Juli 2004
€ 7,50 [D] | € 7,80 [A] | CHF 13,90 (UVP)
978-3-570-15059-7
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Leseprobe

llustration von Seite 62.
llustration von Seite 62.

Bremsen zischten. Der Intercity hielt. Endlich konnte Tim die Tür öffnen. Mit seiner Sporttasche in der Hand, sprang er auf den Bahnsteig hinunter, wo die Menge der Reisenden sich staute, die einsteigen wollten. Aber erstmal wurde ausgestiegen. Der Hauptbahnhofseiner Heimatstadt.
Dem TKKG-Häuptling klopfte das Herz vor Aufregung. Erster Tag der Herbstferien. Wiedersehen mit seiner Mutter. Das war wie ein Versprechen auf ein tolles Erlebnis.
Er stellte die Tasche auf den Boden, zog seine Windjacke glatt und spähte umher.
Daß ihn Susanne - wie er seine Mutter anredete - abholte, war selbstverständlich. Aber wo steckte sie? Den ganzen Bahnsteig entlang konnte er sie nicht entdecken; und die Menge hatte sich jetzt ausgedünnt, weil alle in den IC stiegen, ächzend unter dem Gewicht ihrer Koffer.
Hatte Susanne keinen Parkplatz gefunden - sie, die stets alle Widernisse einkalkulierte und lieber eine halbe Stunde eher abfuhr, statt sich zu verspäten?
Rotes Haar leuchtete auf hinten bei der Treppe. Ein Arm im laubfrosch-grünen Trench-Ärmel winkte.
„Hallo, Tiiiiim!"
Um Himmels willen! Das war nicht Susanne, sondern ihre beste Freundin. Kam Marion Thebes, um ihn abzuholen? Dann war was passiert!
Er spurtete. Seine Tasche mit 15 Kilo Inhalt - Büchern und Klamotten - schlenkerte.
Ein Penner mit brennbarem Alkohol-Atem torkelte ihm in den Weg. Die Tasche fegte ihn hinüber zum gegenüberliegenden Gleis. Aber dort blieb er - o Wunder! - schwankend auf den Füßen.
„Tante Marion!"
Er umarmte sie. Wangen-Bussi. Marion war gepflegt und hübsch und so alt wie Susanne. Marion lächelte - zwar nicht wie ein sonniger Mai-Tag. Immerhin, es war ein Lächeln. Das schloß eine Katastrophe aus.
„Erschrick nicht, Tim. Susanne kann dich nicht abholen. Sie hatte einen Unfall. Gestern Abend. Sie ist im Krankenhaus."
Tim wurde weiß im Gesicht.
„Es ist nicht gefährlich", sagte Marion rasch, „nicht lebensbedrohlich. Aber am Knie sind Bänder gerissen. Es geht wohl nicht ohne eine kleine Operation, um die Gesundheit wieder voll herzustellen. Zwei Wochen, heißt es, muß sie im Krankenhaus bleiben."
„Wie ist es passiert?"
„Ein alter Mann hat sie angefahren. Sie wollte bei Grün über die Kreuzung, und der Opa fährt los. Er ist 82 und will von seinem Bentley nicht lassen, kann aber kaum noch sehen, wie sich dann rausstellte. Jedenfalls ist er farbenblind. Rot oder grün - das checkt er nicht mehr. Jetzt hat er einen Schock und liegt ebenfalls im Krankenhaus. Es tut ihm furchtbar leid."
„Bringst du mich zu Susanne?"

Illustration von Seite 124/125.
Illustration von Seite 124/125.

„Natürlich. Und mach dir, bitte, keine Sorgen. Sie ist quietschfidel - nur ein bißchen traurig, daß sie dich nun nicht bemuttern kann."
„Ist unwichtig. So sehr ich's sonst auch schätze. Nur auf Muttis Knie kommt es jetzt an."
Marion hängte sich ein bei ihm, der fast einen Kopf größer war und wahrlich nicht wie knapp 14 Jahre aussah.
Sie verließen den Hauptbahnhof, gingen zum Parkplatz und stiegen in Marions Wagen - ein kleines Coupe einer japanischen Marke. Der Zwergdackel Goliath sprang sofort vom Rücksitz auf Tims Schoß und wollte dem TKKG-Häuptling das Gesicht lecken.
Lachend schob Tim ihn unter seine Windjacke und zog den Reißverschluß zu.
„Er kennt dich noch", sagte Marion. „Bei ändern macht er das nämlich nicht."
Tim streichelte den Welpen. Ein paar Monate fehlten ihm noch zur Hunde-Volljährigkeit.
„Und sonst hat Mutti keine Verletzungen?"
„Keine. Sie wurde - Glück im Unglück - von dem Wagen beiseite geschleudert und ist gegen einen kugeligen Drei-Zentner-Mann geprallt. Der stürzte auch, fiel aber auf seinen Bauch, also nicht tief. Susannes Knie war ungünstig angewinkelt. Bänder reißen da schnell. Sie liegt im Maria-Hilfs-Krankenhaus."
Das ist nahe, dachte er, nur zehn Fuß-Minuten von zu Hause entfernt.
„Was Susannes Verletzung betrifft", sagte Marion, „kannst du also beruhigt sein."
Hellhörig wandte Tim ihr den Kopf zu.
„Aber, Tante Marion? Da kommt doch noch was."
„Ja, allerdings. Und... Tim, ich will da nicht vorgreifen. Es ist besser, Susanne erzählt es dir. Ja?"
„Ist es was mit mir?"
In Sekundenschnelle spulte sein Gehirn ab, wie es im Internat um ihn stand. Schulische Leistungen? Mathe eins, Sport eins, alles andere auch sehr gut. Knatsch mit Paukern? Zur Zeit lag nichts an, keine Feindseligkeit, kein persönlicher Zoff. Verwarnungen - wegen zuviel Abenteuerlust und nächtlicher Ausflüge? Null. Niemand hatte ihn erwischt. Es gab Mutmaßungen über seinen Freiheitsdrang, aber keine Beweise.
„Nein." Marion hielt vor einer Rot-Ampel und blickte geradeaus. „Es betrifft - deinen Vater."
Tim horchte dem Wort nach. Selten, ganz selten nur gebrauchte er es im Zusammenhang mit sich selbst.
Sein Vater war seit sechs Jahren tot. War umgekommen beim Absturz einer Cessna - zusammen mit Kollegen, mit Geschäftsfreunden. Der Diplomingenieur Maximilian Garsten war erst 36 gewesen.
„Mit Vati? Was denn?" Dann überlegte er und entschied: „Gut, ich lasse es mir von Susanne sagen."