Band 048: Im Schatten des Dämons

Band 048: Im Schatten des Dämons
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Gebundenes Buch · 192 Seiten · 12.2 x 18.8 cm
cbj
Juli 2004
€ 7,50 [D] | € 7,80 [A] | CHF 13,90 (UVP)
978-3-570-15047-4
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Leseprobe

llustration von Seite 54.
llustration von Seite 54.

Die schwüle Hitze, dachte Tim, macht die Leute reizbar. Wer sportlich nicht gut drauf ist, läßt jetzt den Miesmuffel raushängen und giftet die Mitmenschen an. Nur gut, daß wir so frisch, fröhlich und friedfertig sind.
Das bezog sich auf Gaby und ihn.
Sie radelten durch die Gluthölle einer Vorstadt-Straße.
Prennstetten heißt das grüne, östliche Stadtviertel. Nach ihm ist auch der Golfplatz benannt, wo Schicki-Mickis den Schläger schwingen, das Reitergestüt und die berühmte Ausflugs-Gaststätte mit dem drittschönsten Biergarten Europas.
Doch nicht dorthin wollte das Pärchen, sondern in die Musikalien-Handlung Wihold.
„Geht's nicht eine Reifendrehung langsamer, du Rennbolzen", hörte Tim die frisch-fröhlich, friedfertige Stimme seiner Angebeteten hinter sich.
Sofort nahm er das Tempo weg. Ganz in Gedanken und ohne es zu wollen, war er in seinen Trainings-Rhythmus geraten.
„Entschuldige, Pfote. Wir haben ja Zeit."
„Du scheinst nie Zeit zu haben. Immer Tempo, Tempo! Eines Tages fällt Klößchen aus dem Sattel. Und mich hetzt du rum - wir... wir sind ja nicht verheiratet."
„Entschuldige", er ließ sich zurückhängen, bis er links neben ihr war. „Ich krieche ja schon."
Gaby pustete gegen ihren Goldpony. Es klang beinahe wie ein Wutschnauben. Die Blauaugen blitzten.
Sie scheint reizbar zu sein, überlegte Tim. Am besten, ich sage gar nix.
„Was du heute morgen zum Sackhüpf er", Gaby meinte den Studienrat Dr. Knusche, „gesagt hast, war unverschämt."
„Was habe ich gesagt?"
„Pythagoras (altgriechischer Philosoph) sei auch nur ein Mensch gewesen."
„Was ist daran falsch?"
„Ich habe nicht gesagt, daß es falsch - sondern, daß es unverschämt war."
„Manchmal geht er mir auf den Keks. Der Sackhüpfer, meine ich, nicht der Pythagoras."
„Ihr habt gestritten wie zwei Blöde. Aber Sackhüpf er hat recht behalten."
„Kunststück", grinste Tim. „Er hat Mathe studiert. Ich bin erst Schüler der Mittelstufe."
„Um so schlimmer. Dann streitet man nicht."
„Es ging ums Prinzip. Vom Sackhüpfer lasse ich mich nicht wie ein dummer Schüler behandeln. Im übrigen konnte ich beweisen, daß auch Einstein nicht immer recht hatte. Da ist manches umstritten - und mathematisch habe ich auch schon ganz hübsch den Durchblick. So, wir sind da."
Gott sei Dank! dachte er gleichzeitig. Pfote scheint ein bißchen überhitzt zu sein. Das macht ungnädig. Aber Mädchen haben eben nicht die sportliche Hornhaut wie unsereins auf dem inneren Menschen.
Tim schwang sich vom Rennrad.
Auch Gaby saß ab. Aber ihr sommerlicher Flatterrock verfing sich in den Hinterrad-Speichen.
Sie zerrte, zischte, ließ beinahe ihr Klapprad fallen - und der Stoff knirschte.
Erst als Tim ihren Drahtesel hielt, konnte sie den Rock befreien. Ein Ölfleck war am Saum.
„Sch..."
Tim bekam ganz große Ohren.

Illustration von Seite 146.
Illustration von Seite 146.

Jetzt muß ich was Nettes sagen, dachte er, damit der Dampf rausgeht.
„Gaby", der TKKG-Häuptling grinste. „Wußtest du schon: Wenn dich die Wut packt, bist du besonders hübsch."
„Heißt das", auch Kornblumen-Augen können funkeln, „ich soll mich öfter mal aufregen, damit ich deinem Schönheitsideal entspreche?"
„Um Himmels willen - nein! So ist das nicht gemeint. Bleib
so cool, wie du kannst. Du bist auch entzückend, wenn du die Ohren hängen läßt."
Gaby stellte ihr Rad an die Bordsteinkante.
„Wartest du? Oder willst du unbedingt mitkommen?"
„Ich will unbedingt mitkommen", lachte er. „Du weißt doch, wie ich Frau Wihold mag. Ihr zuliebe würde ich Blockflöte lernen."
„Gib dir keine Mühe! Du bist unmusikalisch."
„Vielleicht reicht mein Talent für einfache Volksweisen. Dann könnte ich dich begleiten, wenn du in die Saiten greifst. Zusammen sind wir wie eine Big Band."
Gaby schickte einen Aufwärts-Blick durch ihre dunklen Wimpern gen Himmel, sagte „Komm!" und ging voran mit wehendem Rock.
Sie trug außerdem ein hitze-gerechtes Top mit Spaghetti-Trägern und Knäckebrot-Sandalen mit Riemchen.
Hinreißend war sie anzuschauen, fand Tim. Von vorn, von hinten, von allen Seiten - und die Reizbarkeit der inneren Gaby würde sich spätestens nach dem Gewitter, das irgendwann kommen mußte, normalisieren.
MUSIKALIEN-HANDLUNG WIHOLD - SEIT 1868 - stand groß über den beiden, ums Eck laufenden Schaufenstern des schönen, alten Hauses.
Zum Anschauen für den Musikfreund waren dekoriert: Holzblas-Instrumente wie Fagott, Quer- und Piccolo-Flöte, Klarinette und Oboe; Blechblas-Instrumente, nämlich Waldhorn, Baßtrompete und Zugposaune; eine Pedalharfe, Bratsche, Geigen und Kontrabaß.
Gaby freilich wollte ihre Gitarre abholen.
Emil und Margot Glockner, die Eltern, hatten entschieden, daß es an der Zeit sei, die musikalische Ausbildung der einzigen Tochter voranzutreiben.
Das fiel auf fruchtbaren Boden. Zumal Gaby schon des öfteren auf der spanischen Gitarre ihrer Freundin Liese-Marie Kornpäsche gezupft hatte - und das mit Begeisterung.
Hinzu kam ein weiterer Glücksumstand.
Mit Julia von Pritznitzky stand eine viel-gelobte Gitarrelehrerin zur Verfügung. Julia war außerdem, wie Gaby, Mitglied im Tierschutzverein - und ganze 24 Jahre jung, also keine vertrocknete Privatlehrerin.
Julia beriet, welches Instrument anzuschaffen sei; und die Bestellung wurde bei den Wiholds aufgegeben, denn auch die taten sich durch engagierten Tierschutz im Verein hervor. Ihr Rauhaardackel hieß Struppi.
Tim, der manchmal als Gast-Tierfreund zur Vereins-Versammlung mitdurfte, kannte die Wiholds von dorther.
Er folgte seiner Freundin.
In der Musikalien-Handlung war es schattig und kühl.
Daß dicke Luft herrschte, merkten die beiden Jung-Kunden nicht sofort.
Robert Wihold stand neben einem Klein-Klavier, auf das er sich mit einer Hand stützte.
Der Kunde, Typ - oder was auch immer - postierte sich bei einem Kontrabaß, dem er figürlich glich.
„Tag, Herr Wihold", sagten die beiden Jugendlichen im Chor.
Der sonst so freundliche Mann nickte nur. Sein schmales Künstlergesicht war totenbleich.
Nanu! dachte Tim. Da liegt wohl eine Beschwerde an. Dröhnt die Kesselpauke nicht richtig? Oder kommt bei den Tschinellen das... Tschin... nicht?
Der Kontrabaß-Typ war groß und fleischig, sein Anzug edelster Edelknitter. Den massigen Schädel bedeckten vorn unten Bartschatten, oben ebenmäßig gestutzte Rest-Stoppeln.
Rund um eine glimmende Zigarre blinkten gold-überkronte Zähne. Aber es war kein Lächeln, eher ein Geblecke.
Tim und Gaby wollten beiseite treten und bei den Saxophonen warten, bis die Reihe an sie käme.
Aber im Hintergrund wurde die Tür PRIVAT geöffnet, die zur Wohnung führte.
Kathi Wihold winkte den beiden.
„Da seid ihr ja. Der Tee ist schon fertig. Kommt her! Na, kommt!"
An eine Einladung zum Tee konnten sich die beiden nicht erinnern.
Natürlich folgten sie der Aufforderung.
Tim bemerkte beim Nähergehen, daß Kathi Wihold so bleich aussah wie ihr Robert.
Ein schlechtes Zeichen! Denn sie war ein südländischer Typ, bräunte leicht und ganzjährig. Sogar unter der Straßenlaterne, wie sie scherzhaft zu sagen pflegte.
Mit ihren 55 Jahren war Kathi etwas jünger als ihr Mann: eine schlanke, immer noch hübsche Frau mit großen dunklen Augen und kleiner Geschmacksverirrung. Sie färbte sich blond. Doch das sah nicht halb so gut aus wie ihr natürliches Silbergrau.
Hinter der Tür PRIVAT war die Diele zum Treppenhaus.