Jetzt muß ich was Nettes sagen, dachte er, damit der Dampf rausgeht.
„Gaby", der TKKG-Häuptling grinste. „Wußtest du schon: Wenn dich die Wut packt, bist du besonders hübsch."
„Heißt das", auch Kornblumen-Augen können funkeln, „ich soll mich öfter mal aufregen, damit ich deinem Schönheitsideal entspreche?"
„Um Himmels willen - nein! So ist das nicht gemeint. Bleib
so cool, wie du kannst. Du bist auch entzückend, wenn du die Ohren hängen läßt."
Gaby stellte ihr Rad an die Bordsteinkante.
„Wartest du? Oder willst du unbedingt mitkommen?"
„Ich will unbedingt mitkommen", lachte er. „Du weißt doch, wie ich Frau Wihold mag. Ihr zuliebe würde ich Blockflöte lernen."
„Gib dir keine Mühe! Du bist unmusikalisch."
„Vielleicht reicht mein Talent für einfache Volksweisen. Dann könnte ich dich begleiten, wenn du in die Saiten greifst. Zusammen sind wir wie eine Big Band."
Gaby schickte einen Aufwärts-Blick durch ihre dunklen Wimpern gen Himmel, sagte „Komm!" und ging voran mit wehendem Rock.
Sie trug außerdem ein hitze-gerechtes Top mit Spaghetti-Trägern und Knäckebrot-Sandalen mit Riemchen.
Hinreißend war sie anzuschauen, fand Tim. Von vorn, von hinten, von allen Seiten - und die Reizbarkeit der inneren Gaby würde sich spätestens nach dem Gewitter, das irgendwann kommen mußte, normalisieren.
MUSIKALIEN-HANDLUNG WIHOLD - SEIT 1868 - stand groß über den beiden, ums Eck laufenden Schaufenstern des schönen, alten Hauses.
Zum Anschauen für den Musikfreund waren dekoriert: Holzblas-Instrumente wie Fagott, Quer- und Piccolo-Flöte, Klarinette und Oboe; Blechblas-Instrumente, nämlich Waldhorn, Baßtrompete und Zugposaune; eine Pedalharfe, Bratsche, Geigen und Kontrabaß.
Gaby freilich wollte ihre Gitarre abholen.
Emil und Margot Glockner, die Eltern, hatten entschieden, daß es an der Zeit sei, die musikalische Ausbildung der einzigen Tochter voranzutreiben.
Das fiel auf fruchtbaren Boden. Zumal Gaby schon des öfteren auf der spanischen Gitarre ihrer Freundin Liese-Marie Kornpäsche gezupft hatte - und das mit Begeisterung.
Hinzu kam ein weiterer Glücksumstand.
Mit Julia von Pritznitzky stand eine viel-gelobte Gitarrelehrerin zur Verfügung. Julia war außerdem, wie Gaby, Mitglied im Tierschutzverein - und ganze 24 Jahre jung, also keine vertrocknete Privatlehrerin.
Julia beriet, welches Instrument anzuschaffen sei; und die Bestellung wurde bei den Wiholds aufgegeben, denn auch die taten sich durch engagierten Tierschutz im Verein hervor. Ihr Rauhaardackel hieß Struppi.
Tim, der manchmal als Gast-Tierfreund zur Vereins-Versammlung mitdurfte, kannte die Wiholds von dorther.
Er folgte seiner Freundin.
In der Musikalien-Handlung war es schattig und kühl.
Daß dicke Luft herrschte, merkten die beiden Jung-Kunden nicht sofort.
Robert Wihold stand neben einem Klein-Klavier, auf das er sich mit einer Hand stützte.
Der Kunde, Typ - oder was auch immer - postierte sich bei einem Kontrabaß, dem er figürlich glich.
„Tag, Herr Wihold", sagten die beiden Jugendlichen im Chor.
Der sonst so freundliche Mann nickte nur. Sein schmales Künstlergesicht war totenbleich.
Nanu! dachte Tim. Da liegt wohl eine Beschwerde an. Dröhnt die Kesselpauke nicht richtig? Oder kommt bei den Tschinellen das... Tschin... nicht?
Der Kontrabaß-Typ war groß und fleischig, sein Anzug edelster Edelknitter. Den massigen Schädel bedeckten vorn unten Bartschatten, oben ebenmäßig gestutzte Rest-Stoppeln.
Rund um eine glimmende Zigarre blinkten gold-überkronte Zähne. Aber es war kein Lächeln, eher ein Geblecke.
Tim und Gaby wollten beiseite treten und bei den Saxophonen warten, bis die Reihe an sie käme.
Aber im Hintergrund wurde die Tür PRIVAT geöffnet, die zur Wohnung führte.
Kathi Wihold winkte den beiden.
„Da seid ihr ja. Der Tee ist schon fertig. Kommt her! Na, kommt!"
An eine Einladung zum Tee konnten sich die beiden nicht erinnern.
Natürlich folgten sie der Aufforderung.
Tim bemerkte beim Nähergehen, daß Kathi Wihold so bleich aussah wie ihr Robert.
Ein schlechtes Zeichen! Denn sie war ein südländischer Typ, bräunte leicht und ganzjährig. Sogar unter der Straßenlaterne, wie sie scherzhaft zu sagen pflegte.
Mit ihren 55 Jahren war Kathi etwas jünger als ihr Mann: eine schlanke, immer noch hübsche Frau mit großen dunklen Augen und kleiner Geschmacksverirrung. Sie färbte sich blond. Doch das sah nicht halb so gut aus wie ihr natürliches Silbergrau.
Hinter der Tür PRIVAT war die Diele zum Treppenhaus.