Rot ist meine Lieblingsfarbe, dachte Tim - der früher Tarzan genannt wurde. Ich mag den Sonnenaufgang, reife Tomaten, rote Pullover; und sogar wenn ich rot sehe - vor Wut -, fühle ich mich wohl. Nur das rote Geisterauto geht mir auf den Keks. Ein Seh... rot!
„Ja, genau 19mal hat er bisher zugeschlagen, der Verrückte in dem roten Auto", sagte Gaby.
Sie pustete gegen ihren Goldpony. Er war etwas feucht vom Abendnebel und hing ziemlich tief in ihre Blauaugen. Weil er sich vom Pusten nicht hob, nahm Gaby die Hand zu Hilfe.
„Keiner kann sagen", ließ sich Klößchen vernehmen, „was für ein Wagen es ist. Rot lackiert - das wissen sie alle, die Schwerverletzten. Aber niemand hat gesehen, ob es sich um einen VW, einen BMW, einen Opel, einen Lkw..."
„Lkw scheidet aus", unterbrach Karl seine Aufzählung. „Der Verrückte rast und war jedesmal - zack! - um die nächste Ecke verschwunden. Mach das mal mit 'nem Lkw."
Tim und Gaby nickten.
Aber Klößchen maulte: „Auch Feuerwehr-Autos rasen. Und das sind keine Rallye-Flitzer, sondern eher Lkws. Wie?"
„Trotzdem!" Karl wischte durch die Luft, als wäre Klößchens Argument nur Rauch oder Nebel.
Tim wandte sich wieder den Schaukästen zu.
Die TKKG-Bande stand vor dem Central-Kino. Es liegt ganz am Rand der Großstadt, in einem südöstlichen Vorort am Ende der U-Bahn-Strecken.
Der Name ,Central' entsprang vermutlich dem Wunschdenken des Kino-Besitzers. Logo! Stadtrand-Kino oder Jwd-Licht-spiele (jwd = janz weit draußen) - das wäre kein Name gewesen.
Die TKKG-Bande kam aus Klönkersdorf, wo sie einen Bienenzüchter interviewt hatte - wegen Infos für den Bio-Unterricht.
Hier im ,Central' wurde zur Zeit ein Krimi-Film gezeigt, in dem ein roter Sportwagen die Hauptrolle hatte. Mimisch und schauspielerisch konnte man das Opus nicht zur hohen Filmkunst rechnen. Aber die TKKG-Bande machte halt, denn das rote Geisterauto spukte in den vier Köpfen herum - schon seit geraumer Zeit.
Tim betrachtete den Wagen auf den Filmfotos. Er war flach, windschlüpfrig und sah aus nach 150000 DM Anschaffungskosten.
Gaby trat neben ihren Freund und lehnte sich an seine Schulter. „Gefällt er dir?"
Tim hob die Achseln. „Mein Rennrad ist mir lieber."
Klößchen und Karl stellten sich links neben Tim auf.
„Ja", meinte Karl. „Ich vermute, daß das Geisterauto so ein ähnlicher Schlitten ist."
Tim nickte. „So stelle ich mir das Geisterauto vor. Aber was nützt das? Rote Sportwagen gibt es in der Stadt und im Umland mindestens... ach, noch viel mehr."
„Trotzdem halten wir die Augen offen", sagte Klößchen. „Das ist Bürgerpflicht."
Unaufgefordert sagte Gaby: „Mein Papi leitet die Untersuchungen, wie ihr wißt. Es fing ja ganz harmlos an - vor sieben Wochen. Ein Mann wurde nachts in der Bleichenröder Straße überfahren und schwer verletzt. Der Täter floh. Das Opfer konnte immerhin sagen, daß es ein roter und sehr schneller Wagen war. Dann reihte sich eine Untat an die andere - noch 18mal. Immer nachts. Einige Leichtverletzte, viele Schwerverletzte sind das Ergebnis." Ernst fuhr sie fort:
„Einem jungen Mann mußte das Bein amputiert werden. Gestorben ist zum Glück niemand bei diesen bösartigen Anschlägen. Aber auch das steht bevor. Alle Betroffenen wissen, daß es ein roter Wagen war. Doch niemand konnte das Nummernschild erkennen."
„Es muß ein Wahnsinniger sein", sagte Tim. „Einer, der seinen Wagen als Waffe benutzt. Als Mordwaffe. Wahllos sucht er
sich Opfer. Es gibt keine Verbindungen unter ihnen. Niemand hat was mit einem andern zu tun. Allen 19 Fällen gemeinsam ist nur eins: Der Wahnsinnige schlägt nachts zu. Und immer auf einsamen Straßen, wo nur das Opfer spaziert, joggt oder radfährt. Null Zeugen. Richtig, Gaby?"
Sie bestätigte, das sei der Stand der Ermittlungen.
Und fügte hinzu: „Aber jetzt muß ich nach Hause. Darf ich daran erinnern, daß ihr mich bis zur Tür bringen wollt."
„Ist uns ein Vergnügen", Klößchen verbeugte sich.
Dann übergab er Tim seinen Drahtesel zum Halten.
„Bin gleich wieder da."