Stettenborn, ein ehemals ländlicher Ort, war längst mit der Großstadt zusammengewachsen.
Gaby nestelte die Kapuze aus ihrem Anorak und zog sie über den Kopf.
Oskar hatte Schneeklumpen an den Beinen und machte Spreizschritte.
Lachend befreite Gaby ihn von den hinderlichen Klumpen.
Sie zogen los. Gleich hinter Kleinfelden beginnt der Schauer-Wald. Er dehnt sich aus weit nach Westen, berührt vier oder fünf Dörfer, wächst ein Stück an der Autobahn entlang und endet in der Ebene, wo die Felder bis hinter den Horizont reichen.
Gaby und Oskar traten unter die Bäume.
Die Wipfel der Fichten schoben sich zusammen, bildeten ein Dach, ließen nur wenige Schneeflocken durch.
Dennoch war der Waldboden überzuckert, und das gefrorene Herbstlaub knirschte unter Gabys Stiefeln.
Ein Wegweiser-Schild STETTENBORN deutete geradeaus.
2,8 km - war vermerkt. Also doch etwas weiter.
Nach fünf Minuten Fußmarsch wurde der Wald auf beiden
Seiten dunkler. Hier standen die alten Bäume. Ihre Äste waren länger, die Zweige dichter benadelt. Das Dach des Waldes hielt Sonnenstrahlen ab, filterte den Regen und fing den Schnee auf.
Unheimlich! dachte Gaby.
Sie konnte tief in den Wald sehen. Die Stämme waren schwarz und feucht. Auf den Tannennadeln, die den Boden bedeckten, lag Schnee.
Oskar blieb stehen.
Sein Nackenfell sträubte sich. Vorsichtig schob er den Kopf vor. Schnorchelnd beroch er die Spur.
Sie verlief quer über den Weg und war ganz frisch.
Das gibt's doch nicht, dachte Gaby verwundert. Eine Hundefährte. Eindeutig! Aber diese Riesenpfoten! Schuhgröße 48, wie? Geht hier ein Bernhardiner spazieren?
Leise begann Oskar zu knurren.
Er kniff die Stummelrute ein, duckte sich, schnorchelte in die Laufrichtung des Riesenhundes.
Gaby blickte unter die Bäume.
In derselben Sekunde schrie sie auf.
Eine Katze lag zwischen zwei geschlängelten Wurzeln. Aber es war nur noch der Rest eines Samtpfoters. Mit gewaltigem Fang (Maul) hatte der Mörder sie in zwei Teile zerbissen.
Der Schreck lähmte.
Entsetzt preßte Gaby den linken Handschuh an den Mund.
Oskar winselte, schaltete den Rückwärtsgang ein und drückte sich zwischen Gabys Unterschenkel, die bis zur Wade in den Moonboots steckten.
Ein dumpfer Laut drang her aus der Dunkelheit des Waldes. Es klang wie das Blaffen eines Hundes. Doch noch nie hatte Gaby einen so dumpfen, kehligen Laut gehört - bei den ,besten Freunden des Menschen'.
Ängstlich suchte ihr Blick unter den Bäumen.
Weit hinten bewegte sich ein schimmerndes Licht - nein, ein Tier, das in Riesensätzen nahte. Ein Hund? Ein gewaltiger Wolf? Das Fell leuchtete, verstrahlte ein grünliches Licht - auch der Schädel, den dieser Phosphor-Schimmer zur unheimlichen Maske machte.
Gabys Herz dröhnte gegen die Rippen.
Sie wußte instinktiv: Dieses Ungetüm hatte die Katze getötet. Anders konnte es nicht sein.
Das Tier jagte heran. Was für ein Tier?
Mein Gott! Wir sind verloren.
Verzweifelt suchte ihr Blick nach einem Versteck.