In der dritten Etage beugte Tim sich übers Geländer. An der Rolltreppe vorbei sah er hinunter in die Abteilung Haushaltswaren des Kaufhauses Wuhlwörs. Was seine Glotzer aufnahmen, brachte seinen Atem fast zum Stillstand.
Gibt's das? Diese Dreistigkeit? Hat der einen Dachschaden oder unheilbare Kleptomanie (triebhaftes Stehlen)?
Hinter Tim, vor einem personenhohen Spiegel, sagte Gaby: „Also, ich finde, die steht mir nicht."
„Steht dir ausgezeichnet", sagte Karl mit Überzeugungskraft.
Klößchen stieß breiige Laute aus, die niemand verstand. Er hatte den Mund voller Schokolade - zu voll. Immerhin tönten die Laute bewundernd.
Tim, früher Tarzan genannt, drehte sich nicht um, krallte vielmehr beide Hände ins Geländer und beugte sich noch weiter vor. Ein weniger sportlicher Typ wäre glatt abgestürzt.
Eben schob da drunten ein Ladendieb eine riesige Bratpfanne unter seinen popfarbenen Sommerblouson.
Es war ein großer, dünner Kerl - wenig über dreißig. Aus der Vogelperspektive bot er einen unschönen Kurzhaarschnitt dar - ohne Koteletten.
„Heh, Herr Carsten", sagte Gaby spitz, „interessiert es dich auch ein bißchen, wie die Badekappe mich kleidet?"
„Riesig", erwiderte Tim, ohne seine Haltung zu verändern. „Aber im Moment gibt's hier Wichtigeres. Da unten feiert ein Ladendieb Klau-Orgien. Ich glaube, der will Herrn Wuhlwörs ruinieren. Jetzt... jetzt... steckt er ein Waffeleisen unter die Jacke. Außerdem hat er schon: Tee-Ei, Rohkostreibe, Bratpfanne, Wetzstein und Butterdose."
„Ist doch völlig klar", lachte Karl: „Der baut seinen Haushalt auf. Man fragt sich nur, wie der vorgeht, wenn er ein Schlafzimmer braucht."
Jetzt entschwand der Dieb aus Tims Blickfeld. Unten herrschte Gedränge. Aber niemand sonst merkte was. Kein Hausdetektiv war zur Stelle, und die automatischen Überwachungskameras hatten offenbar getrübte Objektive.
„Er schwirrt ab." Tim wirbelte herum. „Den kasche ich mir."
„Ihm nach!" brachte Klößchen mit halbleerem Mund hervor.
„Aber wir schreiten erst ein", warnte Tim, „wenn er an der Kasse vorbei ist. Sonst redet er sich raus."
Gaby zerrte eine lilafarbene Badekappe von ihren goldblonden Haaren. Sie flog auf den Wühltisch, wo noch ein paar hundert andere lagen. Dann stürmte die TKKG-Bande zur Rolltreppe abwärts.
Die zweite Wuhlwörs-Etage war wie ein Supermarkt aufgebaut. Wer den Einkaufsbereich Richtung Treppe oder Rolltreppe verließ, mußte - kanalisiert durch Ladenstraßen - zur Kasse. Es gab deren vier, aber nur drei waren besetzt. Und die Kassiererinnen hatten alle Hände voll zu tun, denn nicht nur die HAUSHALTS WAREN befanden sich in diesem Bereich. Die Abteilungen SÜSSWAREN und TOPFPFLANZEN gehörten dazu.
Tim sprang die abwärtsfahrende Rolltreppe hinunter, denn gerade in diesem Augenblick bot sich freie Bahn.
Nach seiner Berechnung mußte der Dieb an Kasse 3 vorbei. Richtig! Dort kam er. Fünf Kunden waren vor ihm: alles ehrliche Leute, die ihren Einkaufswagen schoben.
Auch der Dieb schob einen Einkaufswagen. Aber der war leer. Nein, nicht leer. Tim reckte den Hals. Tatsächlich - ein Klarsichtbeutel mit Wäscheklammern lag drin. Daneben stand ein Mini-Kaktus. Das war alles.
Als Tarnung reicht das, dachte Tim, aber nicht, um uns zu täuschen.
Die Kassiererin an Kasse 3 war blond, schätzungsweise Ende Zwanzig und hatte ein unfrohes Mausgesicht. Sie tippte die Beträge ein. In nörgeligem Ton teilte sie die Endsumme mit.
Ein altes Mütterchen hatte ein großes Portemonnaie voller Kleingeld und zählte 42,80DM in Münzen ab. Das dauerte lange, und Mausgesicht blickte mehrmals himmelwärts.
„Benehmt euch unauffällig!" zischelte Tim seinen Freunden zu.
Das galt besonders Klößchen.