Band 039: Bestien in der Finsternis

Band 039: Bestien in der Finsternis
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Gebundenes Buch · 192 Seiten · 12.2 x 18.8 cm
cbj
Juli 2004
€ 7,50 [D] | € 7,80 [A] | CHF 13,90 (UVP)
978-3-570-15038-2
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Leseprobe

llustration von Seite 50.
llustration von Seite 50.

„Heute nachmittag", sagte Gaby, „brauche ich einen Begleitschutz. Nicht für mich, sondern für Oma Habrecht. Allein traut sie sich nicht."
Es war während der großen Pause - nach den Sommerferien, leider. Die TKKG-Bande stand unter der Ulme auf dem sogenannten Pauker-Grün. Im Schatten zeigte das Thermometer 31 Grad an.
„Wer ist Oma Habrecht?" fragte Tim. „Und was getraut sie sich nicht?"
Seine Freundin trug ein weißes T-Shirt - so leicht wie Spinnweben. Ihr goldblonder Pferdeschwanz wedelte über dem Rük-kenausschnitt.
„Oma Habrecht ist eine alte Dame, die ich kenne, weil sie in Mamis Laden einkauft. Sie ist ein bißchen verschroben, aber riesig nett. Manchmal lädt sie mich zu Kuchen und Tee ein. Wenn ich Oskar mitbringe, kriegt er immer ein Stück Wurst."
„Bring mich mal mit", meinte Klößchen. „Vielleicht kriege ich ein Stück Schokolade."
„Oma Habrecht lädt nicht jeden ein", erwiderte Gaby.
„Und was traut sie sich nicht?" erinnerte Tim, bevor die Rede in andere Richtung driftete.
„Wegen ihrer Verschrobenheit, die ich schon erwähnte, hat sie etwas altmodische Ansichten. Naja, wie man halt mit 81 Jahren so ist. Allerdings müssen diese Ansichten schon lange bestehen. Denn sie hat ja eine Ewigkeit gespart."
„Mich beschleicht eine Ahnung, worum es geht", nickte Tim. „Aber ich warte, bis du's sagst."
Ihre Kornblumenaugen lächelten ihn an. „Nur Geduld. Die Leibwächter werden erst nachmittags gebraucht. Mathilde Habrecht war früher Bibliothekarin. Zeitlebens hat sie gespart. Auch von der Pension hat sie immer was zurückgelegt. Aber sie hat seit vielen Jahren kein Bankkonto mehr, sondern nur einen Sparstrumpf."
Karl, der sich etwas verbogen an den Ulmenstamm lehnte, grinste. „Mißtraut sie den Banken?"
Gaby nickte. „Da muß es mal einen Skandal gegeben haben - vor unserer Zeit. Eine Pleite. Den Zusammenbruch einer Privatbank. Die Kunden waren dann angeschmiert, ihre Gelder nämlich futsch. Da überkam Oma Habrecht das Grausen, und sie stopfte ihr Geld unter die Matratze. Dort vermehrt es sich nun seit jener Zeit."
Die Jungs grinsten.

Illustration von Seite 105.
Illustration von Seite 105.

„Das ist ja eine Einstellung wie im ersten Jahrtausend", meinte Klößchen. „Damals erlebte in Deutschland der Sparstrumpf seine Blüte."
„Damals", sagte Karl, „wurde noch mit Naturalien (Lebensmittel, Waren) Tauschhandel betrieben."
„Zum Beispiel einen halben Zentner Schokolade für ein Pferd", nickte Klößchen. „Oder einen Viertelzentner für ein halbes Pferd."
Karl verdrehte die Augen hinter seiner Nickelbrille. „Schokolade gab's damals noch nicht."
„Armes Jahrtausend", meinte Klößchen. „Man fragt sich, wie die Leute satt wurden."
„Wie hoch sind Omas Ersparnisse?" wollte Tim wissen.
Gaby wußte es. „Sie hat gespart und ein bißchen geerbt. Insgesamt sind's 198.000 Mark."
„Donnerwetter!" Tim lachte. „Sie braucht nicht nur Begleitschutz. Sie braucht einen Panzerwagen." Mit dem Zeigefinger kratzte er sich in seinen braunen Locken. „Was hat denn die Oma zu ihrem Sinneswandel bewogen, zu dem wiederhergestellten Vertrauen?"
„Erstens hat sie Angst. Weil immer mehr alleinstehende, alte Frauen in ihren Wohnungen überfallen werden. Zweitens sei so lange kein Skandal passiert. Das spreche für die Banken. Also, wie ist es? Kommt ihr mit als Begleitschutz, wenn Oma ihr Geld einzahlt. Ich hab's ihr versprochen. Euch habe ich mit Lorbeersaft Übergossen, als wärt ihr die Helden des Tages."
„Was durchaus der Wahrheit entspricht", sagte Klößchen.
Tim dehnte die Rippen. „Wenn es darum geht, unseren älteren, hilflosen Mitbürgern beizustehen, sind wir selbstverständlich zur Stelle. Das muß man sich vorstellen: eine 81jährige Oma mit 198.000 Mark in der Tasche tapert bankwärts, und die Straßengeier riechen die Kohle. Denen genügt doch ein Fingerschnipp - und der Überfall ist gelaufen. Aber nicht, wenn wir eskortieren (begleiten). Also wann, Gabriele? Wo? Genügt unsere Freizeitkluft, oder erwartet die alte Dame weiße Manschetten?"
Es klingelte. Schluß der Pause.
Während sie in die Klasse zurückgingen, übermittelte Gaby die Infos.
Damit war zunächst alles klar.