Der Einbrecher schien äußerst gewandt: eine mittelgroße Gestalt und schwarz gekleidet wie der Tod. Auf dem Kopf trug der Kerl eine Mütze.
Als seine Fußspitzen festen Boden berührten, stand Tarzan hinter ihm.
„Waaahhh", raunzte er, um auch die Schrecksekunde für sich auszunutzen. Gleichzeitig packte er den Dunkelmann mit eisernem Griff.
Die Überraschung gelang. Schreck versteinerte den Kerl. Aber nur für zwei Sekunden. Blitzartig drehte er sich in Tar-zans Griff, befreite sich, wirbelte herum, griff seinerseits zu und setzte einen Hüftwurf an, der beim Judo zum kleinen Einmaleins gehört.
Tarzan hatte nicht erwartet, daß sein Gegner sich widerstandslos ergebe und kniefällig um Gnade bitte. Aber einen Judo-Kämpfer vor sich zu haben, das überraschte ihn.
Und nicht nur das. Ein schwarzes Gesicht war ihm zugewandt - vielmehr: eine schwarze Gesichtsmaske, in deren Sehschlitzen Tigeraugen funkelten.
Tarzan konterte (durch Gegenangriff abwehren).
Platsch! - saß der Kerl auf dem Hintern.
Das tat sicherlich weh, denn sein Trikot war hauteng und keine modische Ritterrüstung wie bei Eishockey oder amerikanischem Football.
Gerade wollte Tarzan fragen, ob's damit genug sei oder der andere ernsthafte Beschädigungen wünsche - als der Beinhebel zustieß.
Ein Spezialist für Bodentechnik, dachte er böse. Denn der Trick war gelungen.
Auch Tarzan saß nun auf den Steinplatten, war freilich wie in Zeitlupe gelandet; aber jetzt erwachte sein Kämpferherz, jetzt drehte er auf. Der Gegner quietschte entsetzt. Dann steckte er in einem Würgegriff, aus dem es kein Entrinnen gab. Selbst ein Gorilla hätte die Waffen gestreckt, bzw. alle Viere von sich, und der Einbrecher war nicht mal ein Halbaffe.
Er quietschte nochmals. Seine Knochen knackten wie 100jährige Türangeln voller Rost. Schwarz wie sein Aufzug war - so wurde es ihm jetzt auch vor Augen. Der beinharte Griff hätte sein Bewußtsein gelöscht wie ein Taifun brennende Weihnachtskerzen.
Aber Tarzan ließ los.
„Hoppla!" sagte er verblüfft. „Sie sind ja eine Frau."
Langsam wälzte sie sich auf den Rücken.
„Oh!" keuchte sie. „Bist du der Weltmeister? Oder an wen bin ich da geraten?"
„Für eine Frau sind Sie aber auch ganz gut", meinte er gönnerhaft - waren sie doch für diesen Moment nur Judokas, Sportler unter sich.
Aber dann sagte er: „Sie sind eine Schande für unseren Sport. Zu richtigem Judo gehört auch die Gesinnung. Einbrechen, stehlen, Besitz umverteilen - ist außerhalb der Regeln und ein ganz mieser Zug. Tut mir leid, Sportsfreundin: Jetzt geht's ab hinter Gitter. Nämlich zur Polizei."
„Ach, wirklich!" seufzte sie.
„Und keinen Fluchtversuch, sonst werde ich ernstlich böse."
„Um Gottes willen! - nur das nicht."
Sie erhob sich und streifte Mütze und Gesichtsmaske ab. Langes Haar rauschte auf ihre Schultern. Es war lockig und honigfarben, soweit sich im Mondlicht erkennen ließ, das Gesicht hübsch: ein bißchen katzenhaft im Schnitt, aber lustig im Ausdruck. Die schräggestellten Augen funkelten grün.
Es war eine junge Frau. Verständnislos schüttelte Tarzan den Kopf. „Himmel, haben Sie's nötig einzubrechen? Sie würden doch bestimmt einen Job finden. So wie Sie aussehen - ich meine, Sie machen keinen üblichen Eindruck." „Danke für das Kompliment", lachte sie. „Aber der Eindruck täuscht", setzte er knallhart hinzu -damit sie nicht denken sollte, er ließe sich einwickeln.
„Wenn du meinst. Und was den Job betrifft - ich habe einen. Ich bin hauptberuflich Einbrecherin. Mein Fehler ist nur, daß ich die Sache zu sehr romantisiere. Ich mache ein Spiel draus, verstehst du. Eigentlich sollte ich auf die Maske verzichten. Aber mit der bin ich schon damals im Zirkus aufgetreten und ... nein, ich mag das einfach." „Aha!"
Er verstand kein Wort. Im Hintergrund knackten Zweige.
„Fängst du einen Einbrecher, oder machst du eine Gartenparty?" fragte Gaby aus sicherer Entfernung.
„Es ist eine sie", erklärte er. Und gleich wandte er sich wieder an die schwarze Maske. „Name?" blaffte er, im Stil überforderter Ordnungshüter, die nach Terroristen fahnden.
„Sage ich dir gern", lachte sie. „Ich bin Sabine Lenz. Der Name stimmt. Dort hinten steht mein Wagen. Ich werde mich ausweisen. Die gehören wohl zu dir?"
Das bezog sich auf den Rest der TKKG-Bande, der soeben - ohne die draußen geparkten Tretmühlen - auf die Terrasse marschierte, um den Fang zu begutachten. Streng musterten sie die junge Frau.
„Also hat's doch geklirrt", meinte Klößchen. „Aber das Nichthören hat nichts mit meinem Schokoladenkonsum zu tun, Tarzan. Vielmehr liegt's an den Ohren."
„Ah, dich nennen sie Tarzan", sagte die Einbrecherin.
Dann - verblüffend für alle - reichte sie Gaby die Hand. Pfote war so verdutzt, daß sie einschlug. „Ich bin Sabine", sagte die Einbrecherin und begrüßte Karl und Klößchen gleichermaßen.
Ein Gemüt wie eine Fleischerhündin, dachte Tarzan. Bestimmt steckt eine List dahinter. Aber da bist du schief gewickelt, Sabinchen, falls du wirklich so heißt. Für Einbrecherinnen - und seien sie noch so apart - gibt es keinen Pardon.
Verdutzt hatten Gaby, Karl und Klößchen sich vorgestellt. Klößchen schien zu überlegen, ob er ihr Schokolade anbieten solle.
Karl zog prüfend an dem Seil, das regenwurmschlapp vom Dach herab hing.
Wo hat sie ihre Beute? dachte Tarzan. Wenn's ein Kerl wäre, könnte ich eine Leibesvisitation (Durchsuchung) machen. Aber so - nein! Die Ohrfeige wäre berechtigt.
„Und wo haben Sie das Diebesgut?" herrschte er sie an.
Ihr Lächeln bestrahlte ihn. „Ich habe nichts, Tarzan. Ich breche zwar ein, aber ich stehle nicht. Ich verschaffe mir lediglich Einlaß ins Haus. Und der Besitzer weiß, daß ich komme. Ich bin vorher angemeldet. Damit die Sache unter natürlichen Bedingungen abläuft - wie bei üblichen Einbrüchen -, überläßt der Hausbesitzer mir das Feld; er und die anderen Bewohner verbringen die Nacht anderswo. Ihr müßt wissen, ich arbeite für eine Versicherungsgesellschaft, für die Aurora. Ich bin beschäftigt in der Abteilung Sach- und Hausrats-Versicherungen."