Werbung von Sektenmitgliedern

Verfasst von Richard am 30.07.2012, 11:05 in Realität

Tarzan beobachtet zwei Bettelmönche
Cover Band 13

„Dufte Kumpels sind das“, sagt ein Mitschüler der TKKG-Bande in Band 13, „einfach klasse, obwohl sie sich so himmelblau kleiden. Aber ihre Gemeinschaft – ich sag euch: Das ist riesig. Die Jünger von Atlantis sind eine einzige große Gemeinschaft von Freunden. Das merkt man sofort. Außerdem wissen die, wo es lang geht. Geistig, meine ich. Ihr Führer ist eine Persönlichkeit, die man wirklich verehren muß. Wer bei ihm ist, ist gut aufgehoben.“

Doch wie sieht die Sache in der Wirklichkeit aus – zumindest in der Wirklichkeit, die zur Zeit der Veröffentlichung von Die Bettelmönche aus Atlantis geherrscht hat?

I. Die ideologische Ausrichtung

Sekten in den 70er und 80er Jahren kann man grob in zwei Gruppen einsortieren, sofern sie seinerzeit auch als „Jugendsekten“, „Jugendreligionen“, „Psychokulte“ oder auch „destruktive Kulte“ bezeichnet wurden: die christlich geprägten Sekten auf der einen Seite und die hinduistisch geprägten Sekten auf der anderen Seite. Zu den ersten gehören die Vereinigungskirche (auch Mun- oder Moon-Sekte nach ihrem Gründer San Myung Mun) und die Children of God (zu jener Zeit auch Family of Love), zu den zweiten Hare Krsna und die Bhagwan-Sekte.

Scientology ist ein Sonderfall, weil sich diese Gruppe auf ein sciencefictionhaftes Geschehen gründet. (Mich wundert vor allem die Weltraumreise in einer Flotte von Douglas DC-8.) Nicht zu den Jugendreligionen gehören m. E. die christlichen Sekten Mormonen, Zeugen Jehovas (auch Wachtturmgesellschaft) und sonstige evangelikale Gruppen.

In Band 13 – „Die Bettelmönche aus Atlantis“ – erfahren wir nichts über den ideologischen Überbau der Jugendsekte: Die Jünger aus Atlantis (JAA) sind von ihrem Erscheinungsbild her zwischen Hare Krsna und Bhagwan-Sekte angesiedelt. Beide sehen eine einheitliche Kluft vor. Hare Krsna bevorzugte in den 80ern eine indische Kleidung und dazu wie die JAA-Jünger rasierte Köpfe. Die Bhagwan-Anhänger erkannte man an ihren Pluderhosen und den Schlabbergewändern, die allerdings nicht blau waren, sondern orange bis rot.

Welche Rolle der JAA-Guru Chedli Hamouda einnimmt – ob spiritueller Meister oder Messias – ist nicht ganz klar. Da er „Erlöser der Sünder“ genannt wird, liegt ein Rückgriff auf christliches Material nicht fern.

II. Die Anwerbung

Die Mitgliederrekrutierung der JAA-Sekte wird im Buch teilweise beschrieben und verläuft dreistufig: Danach bilden vor allem Jugendliche von 14 bis etwa 16 Jahren die Zielgruppe. In der ersten Stufe werden einzelne, vor allem kontaktarme Jugendliche angesprochen und mit freundlichem und interessiertem Verhalten bis hin zu gemeinsamen Unternehmungen positiv beeinflusst und an die Sekte herangeführt. In der zweiten Stufe folgt der Entschluss, der Sekte beizutreten, was dazu führt, dass sich die Jugendlichen ins JAA-Hauptquartier in Tunesien absetzen. In der dritten Stufe werden sie dann gefangen gesetzt und „umgedreht“ bzw. zu echten Jüngern bis zur Selbstverleugnung gemacht.

Was in der dritten Stufe geschieht bzw. geschah, wird nur angedeutet: Es ist davon die Rede, dass die Neumönche früher monatelang „geschult“ wurden, während Chedli Hamouda nunmehr zur Anwendung von Hypnose übergegangen sei. Zweifel sind erlaubt, dass man mit Hypnose einen so guten Erfolg erzielen kann, dass jemand mit Haut und Haaren Bettelmönch wird.

Interessant ist der Vergleich mit echten Sektenerfahrungen. Mir liegt hierzu das dtv-Taschenbuch „Ich war ein Munie“ von Oliver von Hammerstein in der 4. Auflage von 1983 (1. Auflage: 1980) vor, in dem der Autor seine Anwerbung durch und seine halbjährliche Mitgliedschaft in der Vereinigungskirche (VK) von Frühjahr bis Herbst 1978 sowie seine Befindlichkeit danach beschreibt. Seine Mutter berichtet von den zwei „Befreiungsreisen“, von denen erst die zweite erfolgreich war, da man sich einer Deprogrammiererin bedient hatte. Der Stiefvater kommentiert grundsätzlich das Sektenphänomen in der damaligen Zeit.

Die Erfahrungen von 1978 sind auf heutige Verhältnisse nicht ohne Weiteres übertragbar. Die meisten Sekten begannen ihren Aufstieg um etwa 1970 oder etwas früher. Ihre aggressive Phase dauerte bis in die späten 80er Jahre an. Damals bestand die Mitgliederstruktur vor allem aus relativ jungen Leuten, die in Sektenunterkünften untergebracht waren. Heute sind diese jungen Leute – so sie noch Mitglied sind – älter geworden, gehen einem Beruf nach und haben Familie. Sie leben nun zu Hause. Auch die VK hat das „klösterliche“ Konzept aufgegeben. Mitglieder von Sekten, die früher eine gewisse Aufmachung vorgeschrieben haben (Hare Krsna, Bhagwan), kommen heute unauffällig daher, wenn man von einer gewissen Spießigkeit und betonten Bürgerlichkeit sowie „Anständigkeit“ absieht.


Die Erfahrungen von Oliver von Hammerstein im Jahr 1978 sind folgende:

Die ideale Zielperson wird als 18- bis 24jähriger Amerikaner (die Vorgänge spielen in Kalifornien), ernsthaft, optimistisch, idealistisch, religiös, gesund, nach Wahrheit und einem sinnvollen Lebensweg suchend, offenherzig, ledig, möglichst „Rucksack-Typ“ (keine direkte Bindung an Familie, Beruf und Wohnort) beschrieben. Ungeeignet sind Kranke, Bedürftige, Arme und Ausgestoßene der Gesellschaft. Fundamentale Christen gelten als unbekehrbar.

Oliver von Hammerstein, damals 19 Jahre alt, wurde von einer jungen Frau während eines USA-Aufenthaltes in San Diego angesprochen und eingeladen, zu einem 2-tägigen Workshop zu kommen. Die VK unterhielt und unterhält heute noch ein „Camp Mozumdar“ genanntes Refugium in den San Bernardino Bergen. Kern ist ein indischer, nichtsdestotrotz christlicher Tempel, den einst ein Prinz Mozumdar erbaut hatte. Dieser Prinz Mozumdar hat allerdings mit der VK nichts zu tun. Das Gelände hat vielmehr den Besitzer gewechselt: Zunächst war der CVJM (Christlicher Verein Junger Männer, bezogen auf die USA wäre das der YMCA) Eigentümer, nun ist es die VK oder eine ihrer Unterorganisationen. Oliver v. Hammerstein lehnt zwar zunächst ab, sagt aber dann zu, weil er Gelegenheit hatte, eine schöne Gegend kennen zu lernen, ohne selbst Auto fahren zu müssen.

Der Einstieg erfolgte dadurch, dass die Frau, die später in der Sekte als „geistige Mutter“ von O. v. H. galt, diesen in das örtliche VK-Zentrum in San Diego Downtown einlud und ihm hier einen kurzen und einfachen Vortrag hielt. Außerdem kam es zu einem Gespräch. Hier lud die Frau O. v. H. zu jenem Workshop und vorher zu einem Abendessen ein, das im Zentrum veranstaltet wurde und das dem Aufbruch zum Camp Mozumdar vorausging. Das Abendessen wurde mit viel Singen und Klatschen „gefeiert“.

Im Camp selbst wurde eine künstliche positive Atmosphäre geschaffen, indem kritische Töne unterbunden und alles mit viel Beifall und positiven Äußerungen überdeckt wurde. Die VK-Mitglieder waren immer in der Überzahl bei einem Verhältnis von etwa 2:1. Wer einen Besucher geworben hatte, folgte ihm auf Schritt und Tritt bis hin zur Toilette (und bis hin zur Unterdrückung des eigenen Stuhlgangs), um den Schützling von satanischen Einflüssen abzuschirmen.

In dem Workshop wurden die Grundzüge der „Göttlichen Prinzipien“, der Basisschrift der VK, unterrichtet. Am Ende des Workshops erging die Aufforderung, am sich anschließenden 2-tägigen „Weekend Workshop“ teilzunehmen. Der Ansatz sah so aus: Entweder ist das Unterrichtete wahr, dann kann man im weiterführenden Workshop mehr erfahren. Oder das Unterrichtete ist zweifelhaft, dann kann man es im weiterführenden Workshop überprüfen. Die angenehme und sehr positive Atmosphäre verleitete O. v. H., auch diesen Workshop zu besuchen.

An den zweiten 2-tägigen Workshop schloss sich ein 7-Tage-Workshop an, der im VK-Zentrum von San Diego durchgeführt wurde und der ein vertieftes Studium der Lehren beinhaltete. Außerdem wurden die Teilnehmer angehalten, ihre Haare kurz schneiden zu lassen (wir sind hier Ende der 70er!). Das Ende des Workshops fand dann in Camp Mozumdar statt, und es wurde sogar ein Abschlusstest über den erlernten Stoff geschrieben. Erst im letzten Vortrag dieses Kurses wurde bekannt gegeben, dass Mun der Messias sei – was sofort akzeptiert wurde.

O. v. H. hatte übrigens erwogen, vor dem 7-Tage-Workshop eine einwöchige Denkpause einzulegen. Ihm wurde das ausgeredet mit der Frage, was er glaube, was Gott von ihm erwarte. Die Entscheidung wurde ihm nicht ausdrücklich vorgegeben, aber er hatte in seinem Wunsch bereits in Übereinstimmung mit der VK-Lehre den Versuch des Teufels gesehen, ihn von seiner Mission abzubringen. So kam es zur nahtlosen Teilnahme am 7-Tage-Kurs.

Der abschließende Kurs war der 14-tägige Workshop im VK-Zentrum in South Pasadena und führte vor allem in die praktische Arbeit in der VK ein – insbesondere die Gewinnung von neuen Mitgliedern („witnessing“) und der Beschaffung von Geld durch Verkauf weit überteuert angebotener Süßigkeiten und Kettchen und durch Betteln („fundraising“). Dabei wurde das Arbeitspensum immer weiter angezogen.

Den Abschluss bildete der Eintritt des O. v. H. als Vollmitglied in die VK. Sein ursprüngliches Vorhaben, nach dem letzten Kurs noch einmal nach Deutschland zurückzukehren, wurde zerstreut, indem ihm gesagt wurde, dass sein Glaube noch nicht fest genug sei, um Angriffen von Satan zu widerstehen. Außerdem sei er von Gott nach Kalifornien geführt worden, um dort seine Mission zu erfüllen. Physischen Zwang hatte es zu keinem Zeitpunkt gegeben, sehr wohl aber die Auswirkung der Indoktrination (keinen Widerspruch zulassende Manipulation).

III. Folgen der Mitgliedschaft

In „Die Bettelmönche aus Atlantis“ werden die Schüler befreit. Sie können ihr Glück kaum fassen. Irgendwelche Folgen – von der Kopfrasur abgesehen – werden nicht berichtet.

„Ich war ein Mumie“ zeigt dagegen die psychischen Schwierigkeiten auf, die entstehen können, wenn man eine Sekte verlässt.

Oliver von Hammerstein berichtet nämlich, dass er in seiner Sektenzeit echte religiöse Gefühle erlebt hat wie weder davor noch danach. Außerdem berichtet er davon, wie sehr er seine Freunde vermisst. Denn die anderen Sektenmitglieder waren ihm tatsächlich zu Freunden geworden, auch die örtlichen Leiter. Hier ist von echter Liebe die Rede, wobei O. v. H. davon spricht, dass er auch nach seinem Austritt seine „geistige Mutter“ so ähnlich liebe wie seine richtige Mutter. Offenbar gibt es doch auch viel Echtes im Falschen.

Die positive Atmosphäre dürfte auch das Erfolgsrezept einer jeden Sekte sein. Dagegen scheint bei der JAA-Sekte eine derartige Atmosphäre zu fehlen. Die „Aufseher“ wirken brutal und springen mit den einfachen Mitgliedern mies um. Das zeigt sich an der Besorgnis der Mitglieder, als Salwa am Abend unter Zahnschmerzen leidet. So aber funktioniert das auf Dauer nicht.

Abschluss

Band 13 gibt die Anwerbung von Sektenmitgliedern nur teilweise richtig wieder. Das kriminelle Element des Kidnappings wurde vor allem gewählt, um einen Kriminalfall und damit einen Fall für TKKG draus zu machen. Tatsächlich läuft die Mitgliederwerbung wesentlich komplizierter und psychologisch ausgefeilter ab. Auf diesem Wege dürfte sie auch erfolgreicher sein als auf die in „Die Bettelmönche aus Atlantis“ beschriebene Weise: Man gleitet nach und nach in die Sekte, da man nach und nach den Lehrinhalten und Schlussfolgerungen und damit dem ideologischen Gebäude der Sekte zustimmt.

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